Revolutionäre Frauen

Beginnend mit dem 8. März wollen wir euch im Laufe der Zeit auf unserem Blog ein paar Frauen vorstellen, die in der Gesellschaft und auch in der linken Szene unserer Wahrnehmung nach nach häufig vergessen werden oder gänzlich unbekannt sind. Sie alle haben in ihrem Leben irgendwas für den Feminismus und den Anarchismus getan.

Los geht es mit Ito Noe, einer japanischen Schriftstellerin, Anarchistin und Feministin:

https://anam.noblogs.org/post/2019/03/08/revolutionaere-frauen-ito-noe

Falls ihr aus euren politischen Schwerpunkten Menschen kennt, die dank cis-männlich dominierter Geschichtsschreibung irgendwie Untergegangen sind, könnt ihr unsere Reihe natürlich gerne als Inspiration für eigene Veröffentlichungen nutzen.

Wir haben auf jeden Fall ein paar interessante und (für uns) neue Menschen kennen gelernt und einiges über die Geschichte der eigenen Bewegung erfahren.

Viel Erfolg bei euren Projekten zum 8. März und danach,
viel Spaß beim Lesen &
solidarische Grüße

ana*m

Solidarität mit dem Havanna Acht!

Seit über 30 Jahren befindet sich in Marburg, gegenüber des Alten Universitätsgebäudes in einem kleinen denkmalgeschützten Fachwerkhaus die linksradikal-feministische Kneipe (vgl. Selbstverständnis des Havanna Acht) Havanna Acht. In dem dunklen Kneipenraum hat schon so manch eine marburger Zecke ihre Abende verbracht. Doch damit könnte es bald vorbei sein. Das Gebäude des Havanna Acht wurde verkauft und der neue Vermieter hat den Mietvertrag gekündigt.

Warum die Schließung des H8 für die anarchistische Bewegung in Marburg ein Einschnitt wäre, soll in dieser Soli-Erklärung, die sich vorallem an Anarchist*innen aus anderen Städten, aber auch an alle anderen solidarischen Menschen richtet, dargelegt werden. Denn obwohl das Havanna Acht sich nicht explizit als anarchistisch versteht bzw. bezeichnet, lebt es doch anarchistische Praxis. Vorallem zwei Faktoren stechen dabei heraus: der Anarchosyndikalismus und der Anarchafeminismus.

Zunächst zum Anarchosyndikalismus. Das Havanna ist nicht gewerkschaftlich organisiert. Von den Verbindungen zur FAU, die es einmal gegeben haben soll, bleibt heute nur ein Plakat hinterm Tresen: „Keine(r) braucht Chefs!“ Doch eben dieser anarchosyndikalistische Grundsatz wird im H8 gelebt. Die Kneipe wird kollektiv geführt; es gibt weder Angestellte noch Chef*innen. Gearbeitet wird „selbstbestimmt und bedürfnisorientiert“, so das Selbstverständnis (ebd.). Auf Solidarität unter den Arbeitenden wird hier viel Wert gelegt und wer sie fragt, wird hören, dass das Arbeitsklima im Havanna Acht um ein Vielfaches angenehmer ist, als in jedem Lohnarbeitsverhältnis. In dieser Praxis sieht sich das Kollektiv als explizit antikapitalistisch (vgl. ebd.).

Als Anarchafeminist*innen ist uns natürlich der feministische und antidiskriminatorische Anspruch des Havanna besonders wichtig. Wer hier grenzüberschreitend handelt wird des Raumes verwiesen. Das gibt es in anderen Kneipen in Marburg, wo vorallem Sexismus eine Alltäglichkeit ist, in der Konsequenz nicht. Natürlich kann es in einer auf Ungleichheit basierenden Gesellschaft keinen komplett diskriminierungsfreien Raum geben. Dennoch: Ein Freiraum wie das Havanna Acht ist in Marburg einzigartig und sollte es schließen müssen, gäbe es hier keinen mehr. Gerade in Zeiten des zunehmenden Rechtsrucks, in denen vermehrt farbentragende Burschis durch die Innenstadt ziehen, ist ein solcher Raum unverzichtbar.

Zu guter Letzt ist das Havanna Acht für die anarchistische Bewegung, wie für die anderen Teile der radikalen Linken, ein wichtiger Treffpunkt. Nicht nur ist die Kneipe ein wunderschöner Ort, um die abendliche Mate oder das abendliche Bier zu konsumieren, sondern ist das Kollektiv auch stets bereit, emanzipatorischen Veranstaltungen einen Raum zu bieten. So haben auch von unseren bisher vier öffentlichen Veranstaltunngen drei im Havanna Acht stattgefunden (Vorträge Was ist Anarcha-Feminismus mit about:fem, unterstützt vom AFLR; Antisemit, das geht nicht unter Menschen mit Jürgen Mümken und Auf nach Buchholz! mit Pro Choice Sachsen).

Zusammengefasst würde, sollte das Havanna Acht dicht machen müssen, ein Ort der herrschaftsarmen Organisierung, ein feministischer Freiraum und ein politischer Treffpunkt verloren gehen. Das fänden wir extre, schade und deshalb sprechen wir dem Kollektiv unsere volle Solidarität aus und werden es bei seinem Kampf um seinen Raum so gut wir können unterstützen. Wir fordern unsere Genoss*innen, Mitverschwörer*innen und Freund*innen in allen Städten auf, es uns nach Möglichkeit gleichzutun. Weitere Infos dazu, was passiert und wie ihr helfen könnt findet ihr unter savetheH8.noblogs.org.

Das Havanna Acht bleibt, sonst wird’s ungemühtlich!

ana*m

Zum Verhältnis von Anarchie, Solidarität, Feminismus und Militanz

Dieser Artikel ist erschienen in der „Gai-Dao“ Ausgabe 81, September 2017, einer monatlichen Zeitschrift der Förderation Deutschsprachiger Anarchist*Innen.

 

Als wir uns als Gruppe neu gegründet haben, war uns schon immer bewusst gewesen, dass wir eine geschlossene, militant agierende, anarcha-feministische Gruppe sein wollen.

Dass wir mit dieser Entscheidung einen relativ selten begangenen und vielleicht auch einen nicht einfachen Weg einschreiten würden, wurde uns in den letzten Monaten immer klarer.

In Deutschland ist innerhalb der anarchistischen Bewegung die Strömung des „Anarcho-Pazifismus“ mit ihren Vertreter*innen, wie die der bekannten „Graswurzelrevolution“1, stark ausgeprägt: „Bis heute ist sie (…) das langlebigste Sprachrohr des deutschen Nachkriegsanarchismus“2. Dieser pazifistische Gedanke ist aber nicht nur ein Alleinstellungsmerkmal der anarchistischen Szene, sondern auch auf einen Teil der „linken Bewegung“ im deutschsprachigen Raum übertragbar: Militanz ist verpönt und wird als kontraproduktiv angesehen. Während in anderen Regionen, wie in Griechenland, Spanien oder Frankreich die linke Szene Militanz befürwortet und nutzt, sind militante Aktionsformen hier in Deutschland fast in Vergessenheit geraten.

Seit ein paar Jahren dagegen scheint es erneut ein Aufleben militanter Aktionsformen zu geben. Mit den Protesten und Ausschreitungen seit Blockupy 2015, der Verteidigung der Rigaer94 in Berlin und während der „NO-G20“ Aktionstage in Hamburg sind die hier beschriebenen Folgen deutlich zu erkennen: Militanz wird als politische Aktionsform angewandt und es hagelt Entsolidarisierung, Distanzierung und Vorwürfe, dass „Gewalt kein politisch legitimes Mittel sei“ und diejenigen, die Gewalt als Protestform anwenden „unpolitische Akteur*innen“ sind. So werden auch links des gewohnten „Mimimi“ der Bratwurst-essen-gegen-Rechts-Fraktion Stimmen immer lauter, für die brennende Autos ein größeres Problem darzustellen scheinen als die tagtägliche Gewalt des kapitalistisch-etatistisch-patriarchalen Normalzustandes.3

 

Solidarität und Anarchie

Auch wir als Gruppe bekamen Kommentare wie diese zu spüren, welche uns vorwarfen, der schönen deutschsprachigen anarcho-pazifistischen Szene einen schlechten Ruf zu verpassen. Uns wurde konkret vorgeworfen, mit unserer Politik das Vorurteil von „Molotov schmeißenden Anarchist*innen“ zu befeuern. Hier ein Zitat eines Linksunten.Indymedia Kommentars zur Veröffentlichung unseres Selbstverständnisses anlässlich unserer Gründung:

„Gerade diese selbst auferlegte Isolation (geschlossene Gruppen) vor der Gesellschaft gab den reaktionären Kräften die Möglichkeit die Definitionshoheit, was Anarchie bedeutet, zu gewinnen. Die Angst vor der Anarchie konnte so in die Gesellschaft transportiert werden, weil Anarchist*innen sich aus eigener Angst vor Repressionen nicht in die Öffentlichkeit getraut haben. Im Endeffekt habt Ihr auch nur wieder einen „Echo-Raum“ geschaffen, wo Personen einer elitären Gruppe nur das zu hören bekommen, was sie sowieso schon denken. Dieser Hinterzimmer-Anarchismus befeuert nur die eh schon vorhandenen Vorurteile gegen die Anarchie“4.

Statt einer Solidarisierung findet eine Distanzierung statt, ohne wirklich zu wissen, was wir als Gruppe für politische Arbeit leisten und welche Themen wir behandeln wollen. Kommentare wie diese sind keine Form von solidarischer Kritik, sondern eine Kritik von Oben herab, meist ohne Inhalt und Argumentation. Nur um hier ein paar Fakten klar zu stellen: Die Gesellschaft, besonders die deutschsprachige, war und ist reaktionär. Dementsprechend besteht eine reaktionäre Definitionshoheit über den Anarchismus ohnehin. Und um ehrlich zu sein, wenn der heutige bürgerliche Mainstream uns nicht als eine feindliche Ideologie wahrnehmen würde, dann sollten wir uns echt Gedanken über unsere Politik machen.

Selbstverständlich wollen wir Menschen dazu bewegen, sich mit der Idee des Anarchismus zu beschäftigen und kritisch über dieses System zu reflektieren. Denn Anarchie heißt Leben: Es bedeutet den Versuch zu starten das Leben so gut wie möglich in die eigenen Hände zu nehmen, das Leben so zu leben, wie Mensch es möchte. Es bedeutet ein Leben fernab von Unterdrückung und Diskriminierung, fernab von Leistungszwang und Druck, fernab von materiellen Zwängen, traditionell konservativen Normen und Werten. Sondern ein befreites Leben, ein Leben in solidarischer Gemeinschaft, ein Leben wo Mensch seine Bedürfnisse nach seinen eigenen Maßstäben befriedigen kann, ein Leben wo Mensch sich frei entfalten kann.

Doch zugleich dürfen wir nicht vergessen, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt und deswegen Anarchismus auch kämpfen bedeutet: Für die befreite Gesellschaft und gegen alle reaktionären Tendenzen!

Es gibt gute Gründe, dass Menschen sich aus Angst vor Repression schützen wollen und deswegen nicht offen agieren. Diese Gründe abzuwerten sind ein sehr heftiger Angriff auf die Möglichkeit als eigenständiges Individuum Entscheidungen für sich selbst zu treffen. Wir fragen uns bei solchen Kommentaren kopfschüttelnd, ob diese Personen ein so anderes Grundverständnis des Anarchismus haben als wir: Das eigene Leben in die Hände zu nehmen und eigene Entscheidungen zu treffen. Herrschaftsfrei. Selbstbestimmt.

Anarchie bedeutet für uns auch Solidarität untereinander. Es gilt für eine solidarische befreite Gesellschaft einzustehen. Wir würden uns deswegen auch mehr Solidarität innerhalb der Szene wünschen. Es gibt viele verschiedene Ansätze, das Ziel einer befreiten Gesellschaft zu erreichen und dies muss auch verbunden sein mit solidarischer Kritik, Diskurs und gegenseitigem Respekt für die Arbeit anderer Mitstreiter*innen. Wenn dies von Anfang an nicht gewährleistet ist, so ist diese Bewegung von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Nicht jede Einzelperson und Gruppe kann das unglaublich breite Spektrum an politischer Arbeit leisten, sondern sich einzelne Themen davon nehmen um daran zu arbeiten. Zu sagen, dass es nur „einen richtigen politischen Weg und Ansatz“ gebe und alles andere falsch wäre, ist ein dogmatischer und totalitärer Gedanke und fernab vom allem, was wir als anarchistisch verstehen.“

Wir sehen jede emanzipatorische Gruppe als potentielle Verbündete an, auch pazifistisches Denken und Handeln sollen ihren Platz in der Bewegung haben. Doch auch Militanz ist Teil davon und sollte als solcher anerkannt werden und Solidarität erfahren.

Erneut, wir haben eigentlich kein Problem damit, wenn Gruppen oder Einzelpersonen pazifistisch handeln und denken, doch wir haben sehr wohl ein Problem damit, wenn diese sich dazu ermächtigen uns eine Lehrstunde in „gutem oder schlechtem“ Anarchismus zu geben.

Militanz und Pazifismus

Wie am Anfang beschrieben, distanziert sich die deutschsprachige anarchistische Bewegung des Öfteren von Militanz.5 Deshalb sehen wir uns jetzt dazu gezwungen, ein paar kritische Worte zu schreiben und unsere Sichtweise darzulegen.

Gewalt ist immer eine Form von Herrschaft und Macht. Deswegen bedeutet es für uns Anarchist*innen Gewalt als solche abzulehnen und zu versuchen sie zu vermeiden. Dies ist die Argumentation von Pazifist*innen und ja, gewissermaßen entspricht es der Wahrheit. Allerdings ist eine Formulierung wie diese auch ein sehr verkürzter Gedanke.

Denn Gewalt ist nicht gleich Gewalt. Es findet eine Täter*innen-Opfer Umkehr durch eine solche Sichtweise statt, welche schlussendlich die Täter*innen schützt.

Gewalt erzeugt Gewalt? Ja, auch ein gängiges Argument von Pazifist*innen und ja, auch wir stimmen dem zu. Schließlich leben wir in einer Welt voller Gewalt und Herrschaftsmechanismen: Sexismus, Rassismus, LGBTQI*-Ablehnung, Ableismus, Klassismus etc. Viele von uns bekommen Diskriminierungen im Alltag zu spüren. Wir leben in einer Welt, in der eine freie Entfaltung unserer Persönlichkeit schwer möglich ist, in der wir an materielle Zwänge gebunden sind, in der wir den Großteil unserer Bedürfnisse nicht befriedigen können.

Dieses System tötet uns. Jeden Tag. Ob in Kriegen, an der Grenze, auf den kalten Straßen, in einsamen Zimmern ohne Perspektiven. Am Anfang war nicht der Pflasterstein, sondern die Wut und Trauer, die uns dazu bewegten, diesen zu werfen. Wir wollen ein Ende der Gewalt, deswegen sind wir, unter anderem, Anarchist*innen.

Insofern wollen wir natürlich Friede, Freude und vegane Pfannkuchen Torte6. Die Abwesenheit von Gewalt ist dementsprechend selbstverständlich etwas Erstrebenswertes. Doch besteht diese Welt aus Gewalt und ist auf ihr aufgebaut, sei es strukturelle oder institutionalisierte, symbolische oder psychische, sei es Krieg oder wenn du aufgrund deiner persönlichen Merkmale verbal oder körperlich angegriffen wirst. Es geht darum, uns und unsere Mitstreiter*innen zu schützen und diejenigen, die diese Gewalt ausüben, auszubremsen. Ein Angriff auf Angreifer*innen ist somit Selbstschutz!

Pazifismus ist zumeist ein Privileg. Oft handeln diejenigen pazifistisch, welche innerhalb dieses Systems eine mit Privilegien ausgestattete Stellung besitzen. Für eine cis-weiße und nicht am Existenzminimum lebende Person ist es sehr viel einfacher Gewalt abzulehnen. Andere von uns haben nicht die Möglichkeit ein so einfaches Leben zu führen, weil wir jeden Tag Gewalt erleben. Als linke, nicht-weiße Person aus dem tiefsten Dorf aus Sachsen kommst du mit Pazifismus nicht weit, wenn die lokale Nazi-Gang dir auflauert und dich zusammenschlagen will. Oder wenn wir Frauen* von Mackern aggressiv bedrängt werden und wir Angst davor haben müssen, dass uns Selbstbestimmung über unseren eigenen Körper genommen wird. Genauso wenig, wenn autoritäre Staaten Genoss*innen ermorden und in Gefängnissen stecken.

Wer sich aus Pazifismus heraus nicht gegen Naziangriffe verteidigen möchte, kann das tun, sollte sich aber nicht Menschen in den Weg stellen, die anderes vorhaben, die sich verteidigen. Sich öffentlichkeitswirksam von militanten Strategien zu distanzieren hilft der demokratischen Mehrheitsmeinung dabei, „Linksextremisten“ zu diffamieren und die Mitte der Gesellschaft gegen sie aufzuhetzen. Wird jedoch häufiger die Notwendigkeit von Radikalität und Militanz verständlich begründet, so könnte diese mehr Akzeptanz finden. Eine Linie ist aus anarchistischer Sicht jedoch dann überschritten, wenn Menschen, welche austauschbare Funktionär*innen des Systems sind, als Sündenböcke inszeniert und „eliminiert“ werden. Nicht nur finden sich hier Elemente der Entmenschlichung und des strukturellen Antisemitismus, „die da oben“, „eine kleine Gruppe von Kapitalisten und Politikern“ für das Übel der Welt verantwortlich zu machen ist schlicht verkürzt. Es bedarf hier einer ausführlicheren Analyse der herrschenden Verhältnisse. Entzieht den Wurzeln des Systems ihren Boden, anstatt einzelne Früchte zu entsorgen!7

Dass in Deutschland Militanz so verhasst ist, spricht von einer sehr privilegierten Stellung der „Deutschsprachigen Linken“. Im Gegensatz zu autoritärer regierten Staaten müssen wir nur in den seltensten Fällen Angst um unser Leben haben.

Schon Errico Malatesta hatte in seiner Schrift „Anarchismus und Gewalt“ kluge Worte zum Verhältnis zwischen beiden Thematiken gefunden:

Von diesem Standpunkt aus ist die Gewalt kein Widerspruch zum Anarchismus und seinen Prinzipien, denn sie ist nicht das Resultat unser freien Wahl und Entschließung. Wir sind oftmals gezwungen, die Gewalt anzuwenden indem wir gezwungen werden, uns zu verteidigen, solche Rechte, welche durch brutale Gewalt unterdrückt werden, zu verteidigen. Nochmals sei es konstantiert: als Anarchisten haben wir nicht die Absicht, nicht den Wunsch, die Gewalt zu benutzen, wenn man uns nicht zwingt, sich oder andere gegen Unterdrückung zu verteidigen. Und nur dieses Recht der Selbstverteidigung fordern wir voll und ganz!„.

Militanz und Feminismus

Militanz und Gewalt wird sehr oft gleichgesetzt mit „Antifa-Mackertum“. Zum einen stimmen wir dem zu und zum anderen kritisieren wir diese Gleichsetzung.

Die linksradikale Szene hat ein Problem mit Mackertum. Wer kennt sie nicht, die „coolen Antifa-Dudes“, die stolz darüber erzählen wie viele Nazis sie letztes Wochenende auf dem Nachhauseweg geklatscht haben und mit ihrem dominanten und Raum einnehmenden Verhalten Sexismus auch innerhalb von linken Räumen und Gruppen reproduzieren. Damit wollen wir nicht zum Ausdruck bringen, dass es schlecht sei Nazis zu boxen, sondern dass ein Fetischisieren politischer Gewalt und ein Abfeiern dieser falsch ist. Gewalt ist manchmal notwendig, bleibt aber schlussendlich ein notwendiges Übel.

Dieser Sexismus und die cis-männlich dominierte linksradikale Szene waren Gründe, warum wir uns als Gruppe dazu entschlossen haben eine Genderquotierung einzuführen, um diesem Umstand entgegenzuwirken. Wir haben keine Lust noch eine weitere männlich dominierte Gruppe zu sein.

Gewalt, Stärke und Kraft sind männlich zugeschriebene Attribute und werden durch das Patriarchat reproduziert. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass Militanz als Begriff mit Mackertum gleichgesetzt wird. Während Frauen* innerhalb der patriarchalen Denkweise als das gegenteilige dargestellt werden: Friedlich, Schwach und Kraftlos. Auf Grund dieser Sozialisation fällt es cis-männlichen Linksradikalen leichter, militant zu agieren und sich mit den damit assoziierten Attributen zu identifizieren. Währenddessen wird es uns als Frauen* schwerer gemacht, sich in dieser männlich dominierten Szene zu behaupten und militante Aktionsformen für sich zu nutzen. Das Patriarchat, dass Frauen* die Militanz abspricht, macht auch vor linken Räumen nicht Halt.

Aus diesen Gründen sind wir der Meinung, dass nicht die Militanz an sich bekämpft, kritisiert und sich davon distanziert werden muss, sondern Mackertum und patriarchale Verhältnisse, sowohl gesamtgesellschaftlich, als auch explizit in linken Räumen. Wir als Gruppe möchten keine patriarchalen Denkweisen reproduzieren, sondern klar sagen, dass auch Frauen* militant und stark sein können, ohne dass es ihrer Genderpositionierung widerspricht.

Oder um es mit einem Zitat aus dem bundesweiten Fantifa Treffen `93 abzuschließen:

„Unser Frauenalltag per se ist kämpferisch, wir sind nicht gegen Militanz, sofern sie zielgerichtet und für uns sinnvoll ist. Wir unterstützen gemeinsames, miteinander abgestimmtes, konsequentes Bekämpfen von FaschistInnen wo immer es möglich ist. Wir wehren uns aber gegen Militanz als Selbstzweck, die andere unnötig gefährdet und mehr dem männlichen Profilierungsgehabe als dem politischen Kampf dient“ 8.

Wir bleiben dabei: „Make Anarcha-Feminism A Threat Again!“

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1 Graswurzelrevolution bezeichnte sich auf ihrer Internetseite als „gewaltfrei, radikal-demokratisch, antiautoritär, sozialistisch“ und besteht seit 45 Jahren. Für mehr Information: http://www.graswurzel.net/

2 Zitat von Bernd Drücke aus dem Buch „Neoanarchismus in Deutschland“, geschrieben von Markus Henning und Rolf Raasch, Kapitel: „Der gewaltfreie Anarchismus“, S. 180.

3 Wir wollen hiermit nicht sagen, dass jede Form von Gewalt progressiv und zielführend ist. Sehr wohl gab es an diesen Riots viel zu kritisieren. Doch gibt es einen Unterschied zwischen solidarischer Kritik und einer Kritik, welche sich komplett distanziert und Militanz als „unpolitische Aktionsform“ bezeichnet.

4 https://linksunten.indymedia.org/de/node/215022

5 Als Beispiel: http://www.graswurzel.net/350/gewalt.shtml

Dieser folgende  Artikel mit der Überschrift: „Je mehr Gewalt, desto weniger Revolte“  befasst sich mit der Kritik an Militanz an den Beispielen von Ausschreitungen in Griechenland und Frankreich. Es werden dabei Beispiele angeführt die auch von unserer Seite aus  kritikwürdig sind. Militanz sollte nicht die Grenze von Menschenleben überschreiten. Dem stimmen wir zu.  Auch wird die Verknüpfung von Mackertum und Militanz zu Recht kritisiert und analysiert. Trotz dessen ist dieser Artikel unserer Meinung nach viel zu einseitig geschrieben. Es wird zu wenig auf die Situationen in den französischen Vorstädten oder der finanziellen Krise in Griechenland eingegangen, welche überhaupt zu einer solchen Wut und dem daraus folgenden Riots führte. Auch wird  die Repression, die Verteidigung von besetzten Häusern oder das autonome Viertel Exarcheia in Griechenland, welche sich eben durch Militanz  gegenüber Repression verteidigen kann, viel zu wenig beleuchtet. Militanz wird als solche verachtet und wie der Text schon heißt "Je mehr Gewalt, desto weniger Revolte" abgekürzt, ohne auch die positiven Folgen dessen aufzuführen. Auch ist der Text in seiner Art sehr widersprüchlich: Zum einen werden „Steine, Mollis und Schusswaffen als tötende verletzende und tötende Kampfmittel“ bezeichnet und somit abgelehnt, zugleich werden am Ende des Textes verschiedene Frauen* Aufstände beschrieben, welche aber ähnliche Kampfmittel benutzten. An einer anderen Textstelle wird diese „Gewalt“ als „Verrat an der puren Revolte, eine negative Identifikation mit dem Aggressor“ bezeichnet. Militanz, wie wir auch im Text kritisierten, als kontraproduktiv und wie die Überschrift auch verdeutlicht als „anti-revolutionär“ bezeichnet. Es findet keine solidarische Kritik statt, sondern eine Kritik von Oben herab.

6 Rezept: http://www.chefkoch.de/rezepte/2631801413397402/Herzhafte-vegane-Pfannkuchen-Torte.html

7 Wir empfehlen diesen vorliegenden Text mit dem Titel:“ Für einen anarchistischen Anarchismus“: http://infoladenazkoeln.blogsport.de/2015/10/29/fuer-einen-anarchistischen-anarchismus-zur-kritik-an-pazifismus-und-basisdemokratie/

8 Siehe FANTIFA 2013, S.54

Gegen fundamentalistische Würgegriffe!

Gegen fundamentalistische Würgegriffe!

Seit Monaten verhandelt die Stadt Marburg über die Nutzung und den Verkauf der seit Jahrzenten leerstehenden und baufälligen Lockschuppen. Seitdem gab es mehrere Treffen, bei dem sich klar kristallisierte, dass der lokale „Christus-Treff“1 diese Räumlichkeiten für sich nutzen möchte um daraus einen „Knotenpunkt des CT“2 zu errichten.

Doch was ist der Christus-Treff überhaupt?

Der Christus-Treff ist eine fundamentalististische Gemeinde, welche sich durch ein konservatives Geschlechterbild und die Abwertung von LGBTQI* (LesbianGayBiTransQueerInter*) auszeichnet.

Dies wird zum Beispiel an einem ihrer CT-Ratsleiter, namentlich Roland Werner, deutlich3: Werner selbst bezeichnet sich als „geheilten Homosexuellen“ und schrieb mehrere Bücher über die „Ex-Gay-Bewegung“4, womit er Begehren jenseits der Heterosexuellen Norm als Krankheit abwertet. Desweiteren organisierte er in der Vergangenheit „Seminare zur homosexuellen Umpolung“5 und arbeitet seit ein paar Jahren als Honorarprofessor an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg6.

Bisher gab es von Seiten des Christus-Treffs keine öffentliche Distanzierung zu dieser Person. Bei ihren befreundeten Organisationen zählen sie zudem unter anderem das „Christival“ und „die Ökumenische Kommunität Offensive Junge Christen“ auf7. Das „Christival“ geriet schon 2008 in Kritik, weil diese Homosexualität pathologisieren und dort Kuren für Homosexuelle angeboten wurden8. Im Zuge dessen bildete sich ein emanzipatorisches NoChristival-Bündnis9 mit darauf folgenden Protesten10. Auch die „Offensiven Jungen Christen“ gerieten mehrere Male in die Schlagzeilen, weil sie Homosexuellenfeindliche und anti-feministische Weltbilder vermitteln11.

Der Christus-Treff selbst besitzt nach eigenen Angaben folgende Räumlichkeiten in Marburg „Das ChristHaus in Marburg, […] das Begegnungszentrum „CON:TEXT“ in Marburgs Oberstadt, das CT-Haus Steinweg 12, viele Wohn- und Hausgemeinschaften“12 und außerdem weitere Räumlichkeiten in anderen Städten.

Es lässt sich durch Recherche klar erkennen, dass sie über eine große Menge an Personal und finanziellen Möglichkeiten verfügen und gut vernetzt zu sein scheinen. Aufgrund dieser Tatsachen haben sie überhaupt die Kapazitäten den Lockschuppen mit mehr als 2 Millionen Euro kaufen zu wollen um ein weiteres Gebäude zu besitzen wo sie Menschen religiös indoktrinieren und somit ihre Vormachtsstellung in Marburg weiter ausbauen können.

Der Christus-Treff hat nach den letzten größeren Protesten im Jahre 2009, welche in Marburg im Zuge des „Internationalen Kongresses für Psychotherapie und Seelsorge“ mit selbsternannten „Homoheilern“ stattfand13, verstanden, dass fundamentalistische Sichtweisen hier nicht unkommentiert bleiben. Es gilt jetzt, ihnen diese Tatsache auch weiterhin zu verdeutlichen!

Nein, es bleibt dabei: Gegen Staat, Nation, Kapital, Patriarchat und religiösen Fundamentalismus!

Trotz steigender Mieten, Gentrifizierung und fehlender sozialer Jugendräume schafft es also eine fundamentalistische Gemeinde sich solche Räumlichkeiten anzueignen. Dies bringt uns zu einem weiteren kritisierenswerten Faktor: Nämlich die SPD Marburg und ihre Stadtpolitik.

SPD=Sozial? Fehlanzeige!

Die SPD Marburg mit ihrem Oberbürgermeister Thomas Spies hat für den Haushaltsplan 2017 beschlossen, die freiwilligen sozialen Leistungen der Stadt um 12 % zu kürzen14. Im Konkreten bedeutet dies, dass kulturelle und soziale Angebote wie das Trauma im G-Werk bis zu Ganztagsangeboten von Schulen und Jugendhilfe massiv von finanziellen Kürzungen betroffen sind. Nachfolgende Proteste scheinen der SPD relativ egal zu sein, an ihrer Entscheidung hat sich schlussendlich nicht viel geändert15. Die SPD, welche bei den Gesprächen und der Vergabe der Lockschuppen eine wichtige Rolle spielen, werden wahrscheinlich erneut enttäuschen. Warum sollte eine Partei, welche solche drastischen Kürzungen innerhalb der Stadtpolitik vornimmt, diese Räumlichkeiten für emanzipatorische Projekte zur Verfügung stellen anstatt auf den größtmöglichen Profit zu spekulieren.

Neben den beschriebenen Kürzungen ist in Marburg eine Gentrifizierung sondergleichen zu erleben: Mietpreise steigen weiter an, alternative Hausprojekte wie die KAUZ werden plattgemacht und einer der einzigen Jugendräume wie das „Cafe Compass“ könnten in den nächsten Jahren verschwinden16.

Alternativen?

Wir brauchen keine weiteren religiös-fundamentalistischen Strukturen, wir brauchen linke Freiräume! Diese regressive Stadtplanung ist aber ausschlaggebend für das gesellschaftliche Zusammenleben in Marburg in den nächsten Jahren. Wenn wir dem nichts entgegensetzen werden die letzten verbliebenden emanzipatorischen Projekte in Marburg bald verschwinden. Freiräume müssen erkämpft und verteidigt werden damit überhaupt eine solidarisch-progressive Politik möglich wird.

Deswegen rufen wir dazu auf an der Demonstration „Kein Raum für Sexismus, Homophobie und religiösen Fundamentalismus“ am 27.06.17 um 16 Uhr, Startpunkt Elisabeth-Blochmann-Platz, teilzunehmen!

Kein Gott, Kein Patriarchat, Kein Mietvertrag!

Für ein freies Leben ohne Autorität und religiösen, anti-emanzipatorischen Wahn!

Link zur Kampagne: http://noplace.blogsport.de/ _________________________________________________________

2http://www.op-marburg.de/Lokales/Marburg/Aus-der-Kernstadt/Jetzt-spricht-der-Christus-Treff

3http://www.christus-treff-marburg.de/ueber-den-ct/leitung/

4https://gaywest.wordpress.com/2010/07/07/roland-und-die-hand-gottes/#more-12575

5http://www.taz.de/!5164518/

6https://www.eh-tabor.de/de/werner

7http://www.christus-treff-marburg.de/partner/zusammenarbeit/

8http://www.taz.de/!5180197/

9http://www.queer.de/detail.php?article_id=8678

10http://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/christen-kongress-gott-heult-mit-dir-a-551264.html

11https://www.welt.de/politik/article3567654/Evangelikale-wollen-Schwule-jetzt-heilen.html

12http://www.christus-treff-marburg.de/ueber-den-ct/ueber-uns/

13http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/kongress-in-marburg-massive-kritik-am-auftritt-von-homoheilern-a-619571.html

14http://www.op-marburg.de/Lokales/Marburg/Aus-der-Kernstadt/Widerstand-gegen-Kuerzungen-waechst

15http://www.op-marburg.de/Lokales/Marburg/Aus-der-Kernstadt/500-demonstrieren-gegen-Sozialkuerzungen

16 http://www.op-marburg.de/Lokales/Marburg/Sorge-um-die-Zukunft-des-compass