#KEINEMEHR – Femizide in linken Strukturen

In diesem Aufruf möchten wir die von FLINT in linken Kreisen erfahrene Gewalt nicht länger tabuisieren und aufarbeiten.

Im konkreten Fall geht es um einen gewalttätigen Übergriff eines DIDFs Vorstandes aus dem Jahr 2013, welcher tödlich hätte enden können, dessen Täter bis heute rechtlich und politisch ungeahndet blieb. Ein Angriff, der in einem politischen Umfeld geschehen ist, welches bis heute aktiv ist, und weitere Übergriffe an FLINT ermöglicht. Diese Tat ereignete sich in linken Kreisen und wird dadurch in feministischen safer-spaces fortgetragen, weswegen wir überzeugt sind, umso stärker gegen solche Strukturen vorgehen zu müssen.

Gewalt gegen FLINT-Personen ist auch in „progressiven“, aktivistischen, linken Räumen strukturell bedingt. Diese Gewalt wird auch von Männern reproduziert, welche in der Mehrheitsgesellschaft mehrfache Marginalisierungen aufweisen. Es ist ein Balanceakt, marginalisierte Männer in heteronormativen, weißen, patriarchalen Gesellschaften nicht zu dämonisieren und zeitgleich in Verantwortung gegenüber denjenigen ziehen, welche strukturell vulnerabler sind: BIPOC FLINT-Menschen.

Wir mussten feststellen, dass solche patriarchalen Dominanz-Strukturen, die bundesweit präsent sind, auch in unserer Stadt, in unseren politischen Kämpfen und unter unseren Freund_innen zu Gewalt gegen FLINT führen.

Es geht um Femizide – den Akt der Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Um gegen Femizide vorzugehen scheitert man bereits schon an der Begriffswahl, denn Femizide werden systematisch unsichtbar gemacht und die Bundesregierung sträubt sich bislang an eine angemessene Definition von Femiziden und damit das Problem in Deutschland überhaupt anzuerkennen.

So bezog sich die Bundesregierung auf eine Femizid-Formulierung der Vereinten Nationen, die davon ausgeht, dass ein Femizid nur dann vorliegt, wenn der Mord an einer Frau nicht strafrechtlich geahndet wird, und behauptete, dass «dieses Phänomen in Deutschland nicht vorkommt». Die Regierung übernahm weder die von der WHO noch die von den Vereinten Nationen angebotenen Beschreibungen und bot keine andere an. Zwar wird nicht mehr direkt verneint, dass Femizide in Deutschland stattfinden, gleichzeitig werden sie aber auch nicht offiziell bestätigt und aufgearbeitet.

Trotz unterschiedlicher begrifflicher Ansätze ist den verschiedenen Beschreibungen des Phänomens eins gemein1: Die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund von tief liegenden Frauenhass wird bereits seit den 1970er Jahren von Feministinnen in der Wissenschaft, in sozialen Bewegungen und im Anschluss auch in den Parlamenten unter dem Begriff des Femizids oder Feminizids gefasst und debattiert, Femizide als extremen Ausdruck hierarchischer Geschlechterverhältnisse und männlichen Dominanz-Bestrebens. Die dieser Problematik zugrundeliegende männliche Vormachtstellung beruht auf der Ausübung von Herrschaft in unterschiedlichen, miteinander verflochtenen Formen, sei es «sexuell, intellektuell, ökonomisch, politisch oder kriegerisch».

Sie tritt dann deutlich zutage, auch in Form von körperlicher Gewalt, wenn diese männliche Position infrage gestellt oder angegriffen wird.2

So nahm die Anzahl der Femizide in Partnerschaften in den 1970 Jahren in den USA mit den Fortschritten feministischer Bewegungen zu. Die Gleichzeitigkeit beider Entwicklungen legt nahe dass die wachsende Unabhängigkeit von Frauen dazu geführt hat, dass einige Männer mit tödlicher Gewalt reagieren. Diese Männer, die sich bedroht oder herausgefordert fühlen, scheinen für sich das Recht in Anspruch zu nehmen, jede Form von Gewalt anwenden zu dürfen, die notwendig ist, um die Herrschaft über die zu behalten, die sie für ihre Untergebenen halten.

Nach den Untersuchungen von Oberlies3 stehen Tötungen in Partnerschaften außerdem oft – aber nicht nur – am Ende wiederholter Gewalthandlungen, weshalb sie, Interventionen von außen vermisst.

Deshalb ist in dieser Hinsicht weiterer Druck notwendig, um die männliche Vormachtstellung zu bekämpfen. Unsere feministischen Räume dienen neben politischer Selbstorganisierung als Schutzräume für FLINTs. Solange unsere Räume von Frauenhasser eingenommen werden, werden wir alle insgesamt in unserem Kampf gegen das Patriarchat geschwächt, was bedeutet, dass damit Sexismus auch nicht gesamtgesellschaftlich untersucht oder adressiert werden kann. Strukturell sexistische Gruppen spalten uns FLINTs, spielen uns gegeneinander aus und schwächen unsere Kämpfe um Befreiung.

Gegen dieses strukturelle Problem gehen linke Gruppen zwar vor, doch wie das bei strukturellen Problemen häufig der Fall ist, scheitern sie daran einen offenen Diskurs zu schaffen, der Betroffene inkludiert. Das eigene politische Verständnis immunisiert einen nicht selbst davor solche Strukturen zu reproduzieren. In Solidarität mit den Betroffenen solcher Gewalt und solcher Ausschlüsse, wollen wir im Folgenden diese patriarchalen Machtstrukturen in der DIDF Jugend an die Öffentlichkeit bringen.

Wir wollen den Frauenhass thematisieren, nachdem über Jahre hinweg, sowohl auf persönlicher als auch auf interner organisationaler Ebene, jegliche Versuche der Betroffenen gescheitert sind, die Ereignisse in den DIDF-Strukturen überhaupt anzusprechen. Die Betroffene wird durch Slutshaming ausgegrenzt und gleichzeitig werden die strukturell patriarchalen Missstände mittels Silencing sowie Ausschluss von Betroffenen und Supporter_innen erhalten. Es ist unbestreitbar, dass hier eine Täter-Opfer-Umkehr stattfindet.

Während die DIDF Jugend immer wieder auf social media den Eindruck erweckt sich gegen Femizide und Gewalt an Frauen stark zu machen, verleugnet sie gleichzeitig strukturelle Gewalt an FLINTs und einen versuchten Femizid in ihren eigenen Reihen. Mit den Worten von Oberlies : «Eine Gesellschaft, die nicht konsequent gegen Gewalt gegen Frauen vorgeht, nimmt deren Tötung billigend in Kauf.»4

Wir fordern die DIDF Jugend dazu auf, Stellung zu beziehen, sowie die politische Auseinandersetzung anzustoßen, um nachhaltig die sexistisch-patriarchalen Strukturen zu ändern. Mit der Öffentlichmachung wollen wir genau die strukturellen Bedingungen angreifen und sabotieren, die Gewalt gegen FLINT*-Personen ermöglichen: den Frauenhass und die Wiederholung von misogyner Gewalt durch das Verschweigen und Leugnen der Gewalt und durch die aktive Täter-Opfer-Umkehr.

Für uns steht außer Frage, dass aus dem Femizidversuch eines DIDF Jugend Vorstands Konsequenzen folgen müssen. Darüber hinaus kritisieren wir den mangelnden Umgang der DIDF Jugend mit dem durch ihren Vorstand ausgeübte Gewalt, sowie die patriarchalen und sexistischen Strukturen, die diesen Übergriff bis heute stützen. Zusätzlich wurden im August 2020 Betroffene, die ebenfalls austraten nachdem sie Sexismus erlebten, von Vorstandsmitgliedern belästigt. Ein weiterer Grund für das Schweigen der Betroffenen ist der Umstand, dass es ohnehin nicht viele migrantische und bundesweit agierende linke Organisationen gibt. Man befürchtet, dass man in einem ständigen Zustand der rassistisch motivierten Unterdrückung durch das Ansprechen von sexistischen Strukturen, die eigene Community schädigt. Die Alternative darf für junge migrantische und linke Frauen aber nicht sein organisiert und sexistisch unterdrückt oder unorganisiert und unversehrt zu sein. Bis heute ist DIDF bei den meisten linken Kundgebungen, Demos und Veranstaltungen präsent und für Betroffene ist die Anwesenheit von Tätern und Täterstrukturen in diesen Kontexten unzumutbar.

Den Unterzeichenden sind die Details und Umstände des Vorfalls bekannt. Aus Respekt vor der Betroffenen, aber auch um eine rechtliche Täter-Opfer-Umkehr zu vermeiden, wird bewusst verzichtet, genauere Details preiszugeben. Bei Bedarf wird im Einzelfall auf diese eingegangen. Darüber hinaus möchten wir verhindern, dass die Erfahrungen von Frauen im Patriachat abermals individualisiert werden: Keine Struktur ist frei von Machtverhältnissen. Gewalt gegen FLINT-Personen und Silencing sind ein bekanntes Phänomen und Gegenstand zahlreicher Forschungen!

Der Fall der Betroffenen ist kein Einzelfall. Nur wenn jetzt eingegriffen wird kann eine Wiederholung solcher oder ähnlicher Gewalt gegen Frauen verhindert werden.

Nachdem wir von diesen Vorfällen und dem strukturellen Slutshaming, Silencing und Ausschließen von Betroffenen erfahren haben, sehen wir es als unsere Aufgabe auf dieses Verhalten aufmerksam zu machen und Betroffene von sexistischer Gewalt zu unterstützen. Wir werden uns unsere Räume zurück nehmen!

Wir fordern die DIDF Jugend auf, Stellung zu den geschilderten Vorfällen und dem strukturellen Silencing gegenüber Betroffenen und FLINT-Personen zu nehmen!

Wir fordern den Rücktritt des Täters aus dem Vorstand!

Wir fordern, dass die DIDF Jugend öffentlich und transparent zeigt, wie sie sich aktiv und nachhaltig mit den eigenen patriarchalen Strukturen auseinander setzen wird! Wir fordern, dass sich über die Aufarbeitung des oben genannten Vorfalls hinaus, Konzepte erarbeitet werden, wie zukünftige Übergriffe verhindern werden können und wie im Falle des Geschehens mit ihnen umgegangen wird!

Wir bitten ausdrücklich darum, diesen Aufruf nicht als Anlass zu sehen, mögliche Betroffene in Erklärungsnot zu bringen, sondern eben diese zu schützen, ihnen zuzuhören und strukturelle Veränderungen einzuleiten.

AFLR Marburg
ag5
ana*m
Decolonize Marburg!
GG VYBE
Las Cayenas
Women’s march Heidelberg
Women Defend Rojava Soligruppe-Marburg

Wusstest du, dass….

Geflüchtete ein höheres Risiko für unsichere Schwangerschaftsabbrüche tragen?

Auf ihrer Flucht sind Geflüchtete den rassistischen Grenzregimen ausgesetzt. Sie befinden sich in einer sehr belastenden Situation, die geprägt sein kann von Gewalterfahrungen und Traumatisierung. Hinzu kommt die schwierige Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Ankunftsländer. Hier ist oft keine durchgehende Gesundheitsversorgung für die Geflüchteten vorhanden. Dies erhöht die Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft, zum Beispiel durch den fehlenden Zugang zu Verhütungsmitteln. Auf Grund von Sprachbarrieren und erschwerten Zugängen zu den Gesundheitssystemen sind schwangere Geflüchtete einem höheren Risiko von unsicheren und „selbstinduzierten” Schwangerschaftsabbrüchen ausgesetzt. Diese können schwerwiegende Folgen wie Unfruchtbarkeit haben. Unsichere Abtreibungen sind der dritt häufigste Grund für das Versterben schwangerer Menschen.

Das darf nicht sein! Geflüchteten Menschen darf auf Grund ihres Aufenthaltsstatus der Weg zu sicheren Abtreibungen nicht verwehrt werden. Stattdessen muss der Zugang zu Gesundheitsversorgung, psychologischer und sozialer Betreuung insbesondere für schwangere Menschen gewährleistet sein.

Patriarchale und rassistische Herrschaftsverhältnisse sind verschränkt und müssen gemeinsam überwunden werden.

Für den Anarcha-Feminismus!

Wusstest du, dass….

durch die derzeitige Pandemie mindestens 1,5 Millionen zusätzliche unsichere Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden?

Insgesamt verschlechtert die Corona-Pandemie die gesundheitliche Versorgung in vielen Ländern der Welt. Insbesondere schwangere Menschen können davon betroffen sein. So rechnet die NGO Marie Stopes International mit 1,5 Millionen zusätzlichen unsicheren Schwangerschaftsabbrüchen, 900.000 zusätzlichen ungewollten Schwangerschaften und 3.100 zusätzlichen Schwangerentoden in Folge der Pandemie. Gründe für diese Anstiege sind unter anderem die schwere Erreichbarkeit von Kliniken und Apotheken, lange Wartezeiten sowie der erschwerte Zugang zu Verhütungsmitteln.

Auch in Deutschland wird damit gerechnet, dass es vermehrt zu unsicheren Abbrüchen kommt. Schwangere Menschen müssen vor einem Abbruch zu verschiedenen Beratungsterminen und Untersuchungen. Durch Quarantäneregelungen, Ausgangsbeschränkungen und die teilweisen Schließungen von Einrichtungen ist nicht gewährleistet, dass sie diese in den gesetzlichen Fristen auch wahrnehmen können.

Die Versorgung von schwangeren Menschen und ihr Recht auf die Selbstbestimmung über ihren Körper sind jedoch auch während einer Pandemie essenziell und muss gewährleistet werden.

Die Pandemie hat eine patriarchale Dimension. Wir müssen sie beide zusammen bekämpfen!

Für den Anarcha-Feminismus!

Wusstest du, dass….

der „Abtreibungsparagraph“ 219a in direkter Nazitradition steht und keinerlei demokratische Legitimation hat?

1933 wurde das sogenannte Ermächtigungsgesetz erlassen, aufgrund dessen die Hitler-Regierung Gesetze ohne die Zustimmung des Reichstages erlassen konnte – ohne demokratische Legitimation also. So wurden auch die §§ 219 und 220 des Reichsstrafgesetzbuchs durch die NS-Regierung eingeführt. Nach dem Ende des selbsternannten Dritten Reiches wurden die Paragraphen im neuen Strafgesetzbuch übernommen, da ihnen „kein spezifischer NS-Gehalt zugeschrieben wurde“. 1974 wurden die §§ 219 und 220 dann im heutigen §219a zusammengeführt. Demokratische Legitimation hat er noch immer nicht.

Der §219a verbietet das „Werben“ für Schwangerschaftsabbrüche. Ärzt*innen wie Kristina Hänel, die darüber informieren, wie sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, werden mit diesem Nazi-Paragraphen verfolgt. Der Staat hat kein Recht, sich in die Selbstbestimmung über unsere Körper einzumischen! Weg mit den „Abtreibungsparagraphen“ 218 und 219, inklusive des Naziparagraphen 219a!

Die Überwindung des Patriarchats erfordert auch konsequente Entnazifizierung.

Für den Anarcha-Feminismus!

Wusstest du, dass….

Schwangerschaftsabbrüche in der Regel selbst bezahlt werden müssen?

Nur in restriktiv bestimmten Ausnahmesituationen übernehmen die Krankenkassen die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Die Kosten zwischen 350 und 600 € können sich längst nicht alle leisten.

Selbst wenn der Ausnahmefall eintritt, dass Schwangere zu finanzieller Hilfe berechtigt sind, liegt vor ihnen ein riesiger Haufen Arbeit. Sie müssen sich noch vor dem Abbruch durch die ganze Bürokratiescheiße kämpfen, denn: Rückwirkend wird eine Kostenübernahme nicht genehmigt. Das ist vor allem deshalb stressig, weil Schwangerschaftsabbrüche ja eh immer Eilsache sind: Nur innerhalb der ersten 12 Wochen sind sie (außerhalb von einigen Ausnahmen) straffrei.

Dass Schwangerschaftsabbrüche in der Regel nicht von der Kasse übernommen werden, ist mal wieder ein Zeichen dafür, dass die dürftigen Versuche solidarischer Lösungen der „sozialen“ Marktwirtschaft nicht ausreichen, um Menschen wirklich gut zu versorgen. Es zeigt:

Klassen- und Geschlechterverhältnisse sind miteinander verwoben und müssen zusammen bekämpft werden.

Für den Anarcha-Feminismus!

Wusstest du, dass….

Menschen unterschiedlicher Geschlechter schwanger werden können?

Um schwanger sein zu können braucht es vor allem einen Uterus. Diesen können Menschen vieler Geschlechter haben, zum Beispiel Inter-Personen, Trans-Männer, Cis-Frauen oder Nicht-Binäre Personen. All diese Personengruppen können somit auch ungewollt schwanger werden und damit auf eine Abtreibung angewiesen sein. Warum ist beim Thema Schwangerschaft und Abtreibung trotzdem immer nur von Cis-Frauen die Rede? Das liegt an der Hetero-Cis-Normativität unserer Gesellschaft. Cis-geschlechtlich und heterosexuell zu sein wird künstlich als der Normalzustand definiert, unabhängig von der eigentlichen Vielfalt an Geschlechtern und Sexualitäten. Das haben die Meisten so sehr verinnerlicht, dass alle, die nicht in diese Norm passen, ignoriert, übergangen und geleugnet werden. Sie werden systematisch ausgeschlossen und unsichtbar gemacht.

Für einen schwangeren Trans-Mann bedeutet dies, dass es für ihn noch schwieriger ist, eine Abtreibung zu bekommen als für Cis-Frauen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er auf dem Weg zu seiner Abtreibung Gewalt erlebt, die mit seinem Trans-sein zusammenhängt ist sehr groß: Ärzt*innen, die von ihm irritiert sind, die sich mit seinem Körper nicht auskennen, ihn misgendern oder ihm sogar die Behandlung versagen. Das heißt nicht, dass wir nicht auch all die Cis-Frauen unterstützen wollen, die Zugang zu sicheren, legalen Schwangerschaftsabbrüchen brauchen. Allerdings ist ein Kampf für sichere und legale Abtreibung nichts wert, wenn er nicht alle Betroffenen einschließt.

Hetero-Cis-Normativität und Sexismus sind miteinander verschränkt und müssen gemeinsam überwunden werden.

Für den Anarcha-Feminismus!

Monis Rache, Conne Island, Fusion – Zu sexualisierten Übergriffen in linken Kontexten

Zu Anfang diesen Jahres sind drei Fälle sexualisierter Übergriffe in linken Räumen bzw. der linken Szene in Deutschland bekannt geworden.

Es handelt sich einerseits um die Vorfälle beim linken Festival „Monis Rache“.1 Dort hatte (mindestens) 2016 und 2018 ein Mann heimlich Kameras auf den Toiletten angebracht. Die im intimen Moment des Toilettengangs unkonsensual entstandenen Videos hat der Täter später auf Pornoseiten hochgeladen. Von diesem massenhaften sexualisierten Missbrauch sind hunderte Menschen betroffen. Die Verbreitung der Videomaterialien über das Internet macht es den Betroffenen praktisch unmöglich, die Macht über die unkonsensualen Filmaufnahmen wieder zu erlangen. Der Täter war Teil der Festivalcrew und organisierte jahrelang „Monis Rache“ mit. Das Täterumfeld und teilweise sogar eingeweihte Person(en) haben weder rechtzeitig eingegriffen um die Übergriffe zu verhindern, noch die Aufarbeitung in irgendeiner Form angemessen unterstützt. Stattdessen wurden Informationen zurückgehalten und somit indirekt Täterschutz betrieben.

Der zweite Fall ereignete sich im Dezember 2019 im linken, Leipziger Szeneclub „Conne Island“. Dort vergewaltigte ein männliches Mitglied des Hamburger Kollektivs „HGich.T“ während ihres Konzerts eine Frau am Rande der Bühne.2 Nachdem die Betroffene sich an die Veranstalter*innen wandte, reagierte das Conne Island scheinbar umgehend.3 Die Reflexion der eigenen Rolle des Conne Islands bleibt im später veröffentlichten Statement sehr abstrakt und damit unzureichend. Das Bandkollektiv spielte die Tour ohne Unterbrechung und auch nur dein Ansatz einer Auseinandersetzung weiter.4

Im dritten Fall geht es um die nun durch anonyme Hinweise an s Licht gekommenen, sexualisierten Übergriffe auf der Fusion 2018. Auch dort wurden, ähnlich wie bei Monis Rache, unkonsenuale Videoaufnahmen von nackten Menschen sowie Nahaufnahmen von Genitalien in Duschräumen gemacht und danach ins Netz gestellt.5 :

Wir reagierten unterschiedlich auf diese Nachrichten: schockiert, taub, erschüttert, wütend, entsetzt, mit einem Gefühl der Machtlosigkeit.
Schockiert davon, dass es in „unseren“ Kreisen, auf „unseren“ Veranstaltungen zu solchen Übergriffen kommt.
Machtlos und taub angesichts der Allgegenwärtigkeit sexistischer Strukturen und Gewalt.
Erschüttert über jeden einzelnen Übergriff, in dem sich diese immer wieder kristallisiert.
Wütend auf die Männer, die, auch wenn sie sich für links oder sogar (pro-)feministisch halten, immer wieder zu Tätern werden.
Entsetzt von der Unfähigkeit unserer linken Strukturen, solche Taten zu verhindern oder zumindest ordentlich aufzuarbeiten.
Und ernüchtert angesichts der vielen Arbeit, die FLINT*6 und Queers leisten und leisten müssen, um der patriarchalen Kackscheiße etwas entgegenzusetzen. Und trotzdem beginnt unser Jahr mit solchen Nachrichten.

Allein von solchen Übergriffen zu erfahren reißt tiefe Wunden. Es ist schmerzhaft.

Wir hoffen, dass alle FLINT* einen Ausdruck für ihre Gedanken und Gefühle hierzu finden können: in Gesprächen mit unterstützenden Personen, in Form von Texten, auf der Straße.

Für uns stellen sich einige Fragen zur inner-linken Debatte und zum weiteren Handeln und Umgang mit der Thematik sexualisierter Gewalt.
In kursiv haben wir zur Vertiefung einige Gedanken von uns dazu festgehalten.

Wen schützen wir? Wem glauben wir?
In engen Beziehungen und Freund*innenschaften schließen wir unterbewusst oft aus, dass unser Gegenüber ein Täter ist/sein kann. Wann werfen wir unsere politischen Prinzipien über Bord, um jemanden vor vermeintlich falschen Beschuldigungen „zu schützen“?

Wie sind unsere Schutzkonzepte für Veranstaltungen?
Zur Planung einer Veranstaltung gehört auch, sich intensiv mit diesen auseinander zu setzen und sie zu gestalten. Was können Awarenesskonzepte leisten und was nicht? Wie gestalten wir Räume so dass sie möglichst sicher sind? Hätten diese Konzepte Vorfälle, wie oben beschrieben, verhindern können? Wo müssen sie demnach verbessert werden?

Wie kann eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit sexistischen Strukturen innerhalb unserer (linken, feministischen, anarchistischen, kommunistischen, antifaschistischen, …) Strukturen und Organisierungen stattfinden?
Reicht es aus immer wieder feministische Perspektiven aufzuzeigen und feministische Positionen zu diskutieren? Gerade bei männlichen Genossen gibt es oft eine Diskrepanz zwischen Selbstverständnis und gelebter Praxis. Wie können wir sicherstellen, dass feministische Ideen im Alltag, Privat- und Szeneleben all unserer Mitstreiter*innen praktische Umsetzung finden?

Wie sehen unsere Konzepte zum Empowerment der Betroffenen aus? Wie die zur Täterarbeit?
Wie können konkrete Konzepte zum Support von Betroffenen aussehen? Was wünsche ich mir als Betroffene?
Teil unserer Erfahrung ist, dass Täterarbeit – wenn sie überhaupt stattfindet – häufig scheitert. Gründe dafür können das fehlende Eingeständnis des Täters sein oder dass Menschen, die mit ihm arbeiten, ausgelaugt und überfordert sind. Von wem und wie kann Täterarbeit sinnvoll geleistet werden? Und wie gehe ich damit um wenn ich Täter bin? Wie kann ich sicher gehen, dass ich als Täter nicht so scheiße reagiere?
Eigentlich finden wir Täterarbeit ist Aufgabe des Täterumfelds. Aber gerade in Szenekontexten bewegen sich Täter und Betroffene oft in den selben Kreisen. Welcher Aufgabe und welcher Person widme ich meine Kraft zuerst? Wie sieht in diesem Fall solidarisches Verhalten mit der Betroffenen aus? Und wie können wir Solidarität zeigen wenn (mehrere) Betroffene unterschiedliche/widersprüchliche Bedürfnisse haben?

Wie können wir trotz dieser vielen unbeantworteten Fragen handlungsfähig bleiben?

 

 

1Statement und Infos der Festivalorga hier.

2Statement von Conne Island hier. Denas bisher verlauteten Kommentar Statement von HGich.T halten wir für so unzumutbar, dass wir ihnes hier nicht verlinken. Er lässt sich im Internet finden.

3Wie die Entscheidungen zu dieser Reaktion zustande kamen und ob diese den Bedürfnissen der Betroffenen entsprachen, geht aus dem Statement des Conne Islands nicht hervor. Entsprechende Transparenz wäre hier wünschenswert gewesen.

4Das nächste Konzert fand am darauffolgenden Tag im Astra Kulturhaus in Berlin statt. Der Veranstaltungsort war zu diesem Zeitpunkt bereits über die Vergewaltigung informiert.

5Die Stellungnahme der Festivalcrew findet ihr hier.

6FLINT* steht für Frauen, Lesben, Inter-Personen, Nichtbinäre-Personen und Trans-Personen.

Revolutionäre Frauen: Comandanta Ramona

https://proxy.duckduckgo.com/iu/?u=https%3A%2F%2Fupload.wikimedia.org%2Fwikipedia%2Fcommons%2Fa%2Fa0%2FComandanta_Ramona_by_bastian.jpg&f=1Die indigene Kämpferin Ramona, geboren in 1959, war Teil der in Chaipas/ Mexiko lebenden und kämpfenden zapatistischen Bewegung. Als Kommandatin der Zapatistischen Befreiungsarme EZLN war sie der vermutlich weit aus besser bekannten männlich gelesenen Figur des Subkommantanten Marcos übergeordnet. Als die zapatistische Befreiungsbewegung am 01.01.1994 aus dem Untergrund mit ihrer Rebellion an die Öffentlichkeit trat, war Comandanta Ramona verantwortlich für die erfolgreiche Übernahme der Stadt San Cristóbal de las Casas. Immer noch hervorstechend ist das radikale basisdemokratische Verständnis der ehemals eher marxistisch-maoistisch orientierten zapatistischen Organisierung. Inzwischen ist das politische Verständnis der Zapatistas auch sozialistisch und anarchistisch geprägt, es gibt aber auch religiöse Einflüsse. Die zapatistische Befreiungsbewegung kämpft für den Aufbau autonome Verwaltungsstrukturen von unten.

Ramona war Angehörige der Tzotzil, einer indigenen Gruppe Südamerikas, und sprach wegen der schlechten Bildungsmöglichkeiten kaum Spanisch und war Analphabetin. Trotz dieser Hindernisse wurde sie zum Symbol des Kampfes der Indio-Frauen für ihre Rechte. Unter Anderem geht auf sie und ihre Mitstreiterinnen das „Revolutionäre Frauengesetz“ von 1993 zurück, in dem in zehn Forderungen Gleichheit und Gerechtigkeit für Frauen eingefordert wurden. Dabei ging es unter Anderem um die sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung von Frauen, das Recht auf Bildung und politische Beteiligung.

Ramona starb 2006 in Folge einer Krebserkrankung. Dennoch geht der feministische Kampf innerhalb der Zapatistas und auch mit der gesamten Bewegung in der mexikanischen Gesellschaft weiter. 2008 fand das erste internationale Frauentreffen in den Chaipas statt. Männer durften bei den meisten Versammlungen zwar anwesend sein, hatten aber kein Rederecht und mussten die Reproduktionsarbeiten übernehmen. So konnten sich Frauen aus aller Welt austauschen und ihre Kämpfe verbinden.

Revolutionäre Frauen: Ito Noe

https://proxy.duckduckgo.com/iu/?u=https%3A%2F%2Ftse3.mm.bing.net%2Fth%3Fid%3DOIP.VGvgCvtEBy2Of-9xS45x4QHaLj%26pid%3D15.1&f=1Ito Noe, geboren am 21. Januar 1895 war eine japanische Schriftstellerin, Anarchistin und Feministin. Im Alter von 20 Jahren – sie war bereits Mutter zweier Söhne – engagierte sie sich als Herausgeberin eines Kulturmagazins an der Universität: Seito. Seito wandte sich unter ihrer Leitung zunehmend sozialkritischen und feministischen Themen zu und radikalisierte sich politisch. Fünf Ausgaben des Magazins wurden infolge dessen von der Regierung aus Gründen der ‚Sittlichkeit‘ unter Zensur gestellt.

Ito selbst schrieb zu tabuisierten Themen wie Abtreibung, Prostitution, weiblicher Sexualität und arrangierten Ehen. Ito trat vehement für die Legalisierung von Abtreibungen, genau wie für die Legalisierung von Prostitution ein, da sie ein uneingeschränktes Recht auf körperliche Selbstbestimmung von Frauen propagierte. Staatliche Einmischung und Bevormundung von Frauen kritisierte sie scharf. Die Arbeit in der Prostitution setzte Ito Noe außerdem in Verbindung mit einer sozial-ökonomischen Kritik und argumentierte: Dadurch dass es im japanischen Sozialsystem kaum Möglichkeiten für Frauen gäbe sich finanziell zu versorgen, würden viele durch ökonomische Zwänge in die Prostitution gedrängt. Als Frau ums Überleben zu kämpfen dürfe aber auf keinen Fall Anlass für Bestrafung sein.

Auch mit dem Thema ‚freie Liebe‘ setzte sich Ito sowohl praktisch als auch theoretisch auseinander. In ihrem Text ‚Von einer Frau an ihren Ehemann‘ bemerkt sie selbstkritisch, dass sie sich in ihrer (offenen) Ehe sehr nach traditionellen Rollenvorstellungen verhält. Sie kommt zu dem Schluss, dass sie eine gewisse Distanz zu ihrem Ehemann braucht, um sich selbst als Maßstab zu setzen und sich treu zu bleiben. In weiteren Texten widmet sie sich einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Klassensystem und der Ausbeutung von Arbeiterinnen und Mädchen und in ‚Realität ohne Regierung‘ illustriert sie das selbstorganisierte Leben einer ländlichen Dorfgemeinschaft als positives Beispiel für gelebten anarchistischen Kommunismus. Zusätzlich übersetzte sie Texte von Emma Goldman ins Japanische. Ito Noe kritisierte die Obrigkeitshörigkeit in der japanischen Gesellschaft ihrer Zeit scharf und plädierte für einen alltäglich gelebten Anarchismus um in vielfältigen kleinen Schritten den Kokutai[¹] zu unterwandern.

Aufgrund ihrer deutlichen Kritik am politischen System und dem japanischen Herrscher war Ito Noe starker Repression ausgesetzt. Ständig hatte sie Schikanen durch die Polizei zu ertragen, so dass sie kaum das Haus verlassen konnte ohne angehalten zu werden. Dora Russell und ihr Mann Bertrand trafen Ito Noe 1921 gemeinsam in Japan. Auf Dora Russells Frage ob sie nicht Angst habe, dass die Autoritäten ihr etwas antun würden, soll Ito zynisch, mit einer Hand ihre Kehle streifend geantwortet haben: „Ich weiß dass sie es tun, früher oder später.“
Trotz des Wissens um ihre Gefährdung propagierte Ito Noe weiterhin unerschrocken ihre Ideen von einer besseren Gesellschaft und trat öffentlich für ihre Überzeugungen ein.

In dem vom großen Erdbeben von Kanto ausgelösten Durcheinander wurden Ito Noe, ihr zweiter Ehemann Osugi Sakae, selbst Anarchist, und sein sechsjähriger Neffe am 16. September 1923 von der Militärpolizei verhaftet und zu Tode gefoltert. Ihre Leichen wurden anschließend in einer Müllanlage entsorgt. Ito Noe war zum Zeitpunkt ihrer Ermordung 28 Jahre alt.

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[1] Kokutai ist ein Konzept aus dem Japanischen und Beschreibt die Verbindung aus Regierungssystem, nationaler Identität bzw. Einheit und Souveränität des Herrschers

Literatur:

https://libcom.org/history/noe-ito-1895-1923

Terasaki, Akiko & Lenz, Ilse (Hrsg. & Übers.): „Ito Noe – Frauen in der Revolution – Wilde Blume auf unfreiem Feld“, Karin Kramer Verlag, Berlin 1978.