Redebeitrag zum 06.11.21 – Normania-Leipzig Veranstaltung

NO BORDERS

Dies ist ein Redebeitrag von ana*m, einer anarcha-feministischen Gruppe aus Marburg.

Menschen migrieren schon immer. Und schon immer aus verschiedenen Motiven. Sie hängen direkt mit unserer Art zu leben zusammen und wie unsere Gesellschaft strukturiert ist.

Der Kolonialismus des Westens hat tiefe Spuren in den Gesellschaften des globalen Südens hinterlassen. Der Wert eines Menschen wird weiterhin entlang rassifizierender Merkmale bestimmt. Die Folgen der Ökologie- und Klimakrise macht das Leben in einigen Regionen der Erde unzumutbar. Menschen des globalen Südens werden in langen Produktions- und Lieferketten ausgebeutet, die Gewinne anderswo auf der Welt abgeschöpft. Der materielle Reichtum und die imperiale Lebensweise der oberen Schichten im globalen Norden beruht auf der Ausbeutung der kapitalistischen Peripherie des globalen Südens.

Migrant*innen haben also gute Gründe, sich auf den Weg zu machen und ein besseres Leben für sich zu suchen. Sie stecken in unserer Gesellschaftsstruktur, in unserer Lebensweise: In einem Wirtschaftssystem, das unsere Lebensgrundlagen zerstört; in der Kapitalverwertungslogik, die Menschen ausbeutet; im postkolonialen Rassismus, der Menschen gewaltvoll unterdrückt, in nationalstaatlicher Logik, die Menschen in bürgerliche Rechtssubjekte und rechtlose Subalterne unterteilt. Menschen haben gute Gründe, selbstbestimmt nach einem besseren Leben zu streben.

Sie aufzuhalten, ist verachtenswert.

Doch genau das macht sich die Europäische Union zur Aufgabe. Schon in den Herkunftsländern versucht sie, die Menschen zum Bleiben zu bewegen, ohne ihnen dort ein gutes Leben ermöglichen zu wollen. Die globale Arbeitsteilung, die Ausbeutung der kapitalistischen Peripherie und ihrer Ökosysteme, die Rassifizierung von Körpern bleiben bestehen. Es ist nicht hinnehmbar, dass Menschen im Streben nach einem besseren Leben die tödliche Sahara und das tödliche Mittelmeer überwinden müssen. Zusätzlich stellt die EU ihnen auch noch Mauern, Zäune, Grenzschutztechnologien, bewaffnete Grenzschützer*innen und Schlägertrupps in den Weg. An den Außengrenzen Europas – vorgelagert in Nordafrika, an Fluchtwegen wie der Balkanroute, im Mittelmeer – sorgt die EU mit Hilfe von Frontex, finanzieller Unterstützung von Autokratien und der sogenannten „libyschen Küstenwache“ für die Abschottung Europas und das Sterben vor und an den Außengrenzen Europas. Auch wenn Vertreter*innen der EU immer wieder von Menschenrechten faseln. Rein ins europäische ‚Paradies‘ kommt legal nur, wer für die europäische Wirtschaft nutzbar gemacht werden kann. Alle anderen müssen ihr Leben aufs Spiel setzen, um in Europa nach Schutz und Menschenwürde zu fragen.

Seit 2017 sind über 13.000 Menschen im Mittelmeer gestorben.

Aber die eigensinnigen Bewegungen der Migration, das Streben nach einem besseren Leben, lassen sich nicht durch Stacheldraht und Frontex, noch durch PR-Aktionen wie „Defend Europe“ von den Faschist*innen der Identitären aufhalten. Die Aktion der Identitären ist eine radikalisierte, aber konsequente Fortsetzung des eben beschriebenen europäischen Grenzregimes – allerdings ohne den Versuch, den bürgerlichen-legalistischen Anstrich zu bewahren. Anstatt – wie die EU – hinterrücks die sogenannte libysche Küstenwache zu unterstützen und so Menschen zurück nach Libyen in Sklav*innenlager zu schicken, prahlten die Identitären mit diesem Vorhaben offen. Anstatt durch juristische Verfahren und verbale Hetze Seenotrettung zu kriminalisieren, war es ausgesprochenes Ziel der Identitären, die NGOs dabei zu behindern, Menschen aus lebensbedrohlichen Situationen zu retten.

Die Gleichzeitigkeit dieses tödlichen Grenzregimes und PR-Aktionen von Faschist*innen, die es in weiterer Konsequenz durchsetzen, ist widerwärtig.

Dass Alexander Schleyer, der 1. Offizier dieser sogenannten Mission, heute bei der Burschenschaft Normannia-Leipzig zu Marburg spricht, ist kein Zufall. Schleyer ist nicht nur selbst Bruschi bei den Raczeks zu Bonn und Corpsstudent bei dem Corps Hansea Wien, sondern auch Identitärer, schreibt für diverse rechte Zeitschriften und hat ein Buch über „Defend Europe“ im neurechten Antaios-Verlag veröffentlicht. Bis 2017 hat er für die FPÖ als parlamentarischer Mitarbeiter gearbeitet. Die Normannia ist in der „Deutsche Burschenschaft“ organisiert, dem Dachverband von Nazi-Burschenschaften. Dieser fiel in der Öffentlichkeit vor allem wegen seiner Diskussionen um Ariernachweise als Voraussetzung zur Mitgliedschaft auf. Diese Diskussionen basierten damals auf einem Antrag der Raczeks. Der Vortrag ist ein klassisches Beispiel für die Funktion, die den völkischen Burschenschaften im Mosaik der faschistischen neuen Rechten zukommt: Sie sind der Ort, an dem Vernetzung stattfindet. Hier treffen die verschiedenen Teile der extremen Rechten aufeinander. Die Burschenschaften, die sich als akademische Elite verstehen, rekrutieren und bilden Nachwuchs, der durch das beschriebene Networking und die in der Struktur von Studentenverbindungen ohnehin vorgesehenen Seilschaften, an den verschiedenen Stellen der extremen Rechten Karriere machen kann: als Autoren bei Antaios, Blaue Narzisse, Junge Freiheit, Compact, als Aktivisten der Identitärer Bewegung und 1%, als Politiker bei AfD und FPÖ. Sie alle arbeiten an der autoritären Formierung der Gesellschaft und daran, die ohnehin schon restriktiven und rassistischen EU-Grenzregime noch zu verschärfen. Den Mitgliedern der Deutschen Burschenschaft kommt dabei, trotz ihrer geringen Auffälligkeit im Stadtbild, eine wichtige Rolle zu.

Für ein gutes Leben für alle einzustehen, bedeutet für uns die konsequente Kritik an Nationalstaaten. Der Idee der Nation ist das Prinzip der Grenze und die Trennung in ein Außen und Innen inhärent. Konsequent umgesetzte Bewegungsfreiheit erfordert also einerseits die Abschaffung von Nationalstaaten, die Menschen gewaltsam in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken. Es bedeutet für uns auch die Bekämpfung rassistischer globaler Ausbeutungsverhältnisse und die Forderung nach Klimagerechtigkeit. Ein gutes Leben für alle bedeutet, selbst entscheiden zu können, zu gehen oder zu bleiben, sich frei bewegen zu können. Das heißt auch, dass alle Menschen über die materiellen Grundlagen verfügen müssen, ihren Wohnort frei zu wählen und die dafür notwendigen Schritte einleiten zu können. Im Kapitalismus kann es eine solche Freiheit nicht geben, weil er nicht den materiellen Bedürfnissen aller, sondern lediglich der Kapitalakkumulation dient. Das Eintreten für Bewegungsfreiheit erfordert also nicht nur das Bekämpfen des Faschismus, mit seinen Burschenschaftlern und selbsternannten Grenzpatrouillen, sondern auch den Angriff auf die rassistische Verwertungslogik und die Politik des Sterbenlassens der EU. Es bedeutet für uns, gegen diese beiden menschenverachtenden Ideologien einzustehen, die Überwindung von Staat, Nation und Kapital. Wir verbünden uns mit den Menschen, die beharrlich für ihr Recht auf ein gutes, selbstbestimmtes Leben kämpfen. Die Forderung nach globaler Bewegungsfreiheit eines jeden Menschen muss ein wirkliches „Kein Mensch ist illegal.“ werden!