Monis Rache, Conne Island, Fusion – Zu sexualisierten Übergriffen in linken Kontexten

Zu Anfang diesen Jahres sind drei Fälle sexualisierter Übergriffe in linken Räumen bzw. der linken Szene in Deutschland bekannt geworden.

Es handelt sich einerseits um die Vorfälle beim linken Festival „Monis Rache“.1 Dort hatte (mindestens) 2016 und 2018 ein Mann heimlich Kameras auf den Toiletten angebracht. Die im intimen Moment des Toilettengangs unkonsensual entstandenen Videos hat der Täter später auf Pornoseiten hochgeladen. Von diesem massenhaften sexualisierten Missbrauch sind hunderte Menschen betroffen. Die Verbreitung der Videomaterialien über das Internet macht es den Betroffenen praktisch unmöglich, die Macht über die unkonsensualen Filmaufnahmen wieder zu erlangen. Der Täter war Teil der Festivalcrew und organisierte jahrelang „Monis Rache“ mit. Das Täterumfeld und teilweise sogar eingeweihte Person(en) haben weder rechtzeitig eingegriffen um die Übergriffe zu verhindern, noch die Aufarbeitung in irgendeiner Form angemessen unterstützt. Stattdessen wurden Informationen zurückgehalten und somit indirekt Täterschutz betrieben.

Der zweite Fall ereignete sich im Dezember 2019 im linken, Leipziger Szeneclub „Conne Island“. Dort vergewaltigte ein männliches Mitglied des Hamburger Kollektivs „HGich.T“ während ihres Konzerts eine Frau am Rande der Bühne.2 Nachdem die Betroffene sich an die Veranstalter*innen wandte, reagierte das Conne Island scheinbar umgehend.3 Die Reflexion der eigenen Rolle des Conne Islands bleibt im später veröffentlichten Statement sehr abstrakt und damit unzureichend. Das Bandkollektiv spielte die Tour ohne Unterbrechung und auch nur dein Ansatz einer Auseinandersetzung weiter.4

Im dritten Fall geht es um die nun durch anonyme Hinweise an s Licht gekommenen, sexualisierten Übergriffe auf der Fusion 2018. Auch dort wurden, ähnlich wie bei Monis Rache, unkonsenuale Videoaufnahmen von nackten Menschen sowie Nahaufnahmen von Genitalien in Duschräumen gemacht und danach ins Netz gestellt.5 :

Wir reagierten unterschiedlich auf diese Nachrichten: schockiert, taub, erschüttert, wütend, entsetzt, mit einem Gefühl der Machtlosigkeit.
Schockiert davon, dass es in „unseren“ Kreisen, auf „unseren“ Veranstaltungen zu solchen Übergriffen kommt.
Machtlos und taub angesichts der Allgegenwärtigkeit sexistischer Strukturen und Gewalt.
Erschüttert über jeden einzelnen Übergriff, in dem sich diese immer wieder kristallisiert.
Wütend auf die Männer, die, auch wenn sie sich für links oder sogar (pro-)feministisch halten, immer wieder zu Tätern werden.
Entsetzt von der Unfähigkeit unserer linken Strukturen, solche Taten zu verhindern oder zumindest ordentlich aufzuarbeiten.
Und ernüchtert angesichts der vielen Arbeit, die FLINT*6 und Queers leisten und leisten müssen, um der patriarchalen Kackscheiße etwas entgegenzusetzen. Und trotzdem beginnt unser Jahr mit solchen Nachrichten.

Allein von solchen Übergriffen zu erfahren reißt tiefe Wunden. Es ist schmerzhaft.

Wir hoffen, dass alle FLINT* einen Ausdruck für ihre Gedanken und Gefühle hierzu finden können: in Gesprächen mit unterstützenden Personen, in Form von Texten, auf der Straße.

Für uns stellen sich einige Fragen zur inner-linken Debatte und zum weiteren Handeln und Umgang mit der Thematik sexualisierter Gewalt.
In kursiv haben wir zur Vertiefung einige Gedanken von uns dazu festgehalten.

Wen schützen wir? Wem glauben wir?
In engen Beziehungen und Freund*innenschaften schließen wir unterbewusst oft aus, dass unser Gegenüber ein Täter ist/sein kann. Wann werfen wir unsere politischen Prinzipien über Bord, um jemanden vor vermeintlich falschen Beschuldigungen „zu schützen“?

Wie sind unsere Schutzkonzepte für Veranstaltungen?
Zur Planung einer Veranstaltung gehört auch, sich intensiv mit diesen auseinander zu setzen und sie zu gestalten. Was können Awarenesskonzepte leisten und was nicht? Wie gestalten wir Räume so dass sie möglichst sicher sind? Hätten diese Konzepte Vorfälle, wie oben beschrieben, verhindern können? Wo müssen sie demnach verbessert werden?

Wie kann eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit sexistischen Strukturen innerhalb unserer (linken, feministischen, anarchistischen, kommunistischen, antifaschistischen, …) Strukturen und Organisierungen stattfinden?
Reicht es aus immer wieder feministische Perspektiven aufzuzeigen und feministische Positionen zu diskutieren? Gerade bei männlichen Genossen gibt es oft eine Diskrepanz zwischen Selbstverständnis und gelebter Praxis. Wie können wir sicherstellen, dass feministische Ideen im Alltag, Privat- und Szeneleben all unserer Mitstreiter*innen praktische Umsetzung finden?

Wie sehen unsere Konzepte zum Empowerment der Betroffenen aus? Wie die zur Täterarbeit?
Wie können konkrete Konzepte zum Support von Betroffenen aussehen? Was wünsche ich mir als Betroffene?
Teil unserer Erfahrung ist, dass Täterarbeit – wenn sie überhaupt stattfindet – häufig scheitert. Gründe dafür können das fehlende Eingeständnis des Täters sein oder dass Menschen, die mit ihm arbeiten, ausgelaugt und überfordert sind. Von wem und wie kann Täterarbeit sinnvoll geleistet werden? Und wie gehe ich damit um wenn ich Täter bin? Wie kann ich sicher gehen, dass ich als Täter nicht so scheiße reagiere?
Eigentlich finden wir Täterarbeit ist Aufgabe des Täterumfelds. Aber gerade in Szenekontexten bewegen sich Täter und Betroffene oft in den selben Kreisen. Welcher Aufgabe und welcher Person widme ich meine Kraft zuerst? Wie sieht in diesem Fall solidarisches Verhalten mit der Betroffenen aus? Und wie können wir Solidarität zeigen wenn (mehrere) Betroffene unterschiedliche/widersprüchliche Bedürfnisse haben?

Wie können wir trotz dieser vielen unbeantworteten Fragen handlungsfähig bleiben?

 

 

1Statement und Infos der Festivalorga hier.

2Statement von Conne Island hier. Denas bisher verlauteten Kommentar Statement von HGich.T halten wir für so unzumutbar, dass wir ihnes hier nicht verlinken. Er lässt sich im Internet finden.

3Wie die Entscheidungen zu dieser Reaktion zustande kamen und ob diese den Bedürfnissen der Betroffenen entsprachen, geht aus dem Statement des Conne Islands nicht hervor. Entsprechende Transparenz wäre hier wünschenswert gewesen.

4Das nächste Konzert fand am darauffolgenden Tag im Astra Kulturhaus in Berlin statt. Der Veranstaltungsort war zu diesem Zeitpunkt bereits über die Vergewaltigung informiert.

5Die Stellungnahme der Festivalcrew findet ihr hier.

6FLINT* steht für Frauen, Lesben, Inter-Personen, Nichtbinäre-Personen und Trans-Personen.