Redebeitrag zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, 25.11.21

Im Folgenden unser Redebeitrag, den wir auf der Demo zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen gehalten haben. Die Demo wurde wie jedes Jahr auch dieses mal vom AFLR organisiert.

Redebeitrag 25.11.2021: Queere Kämpfe

Wir sind ana*m, eine anarchafeministische Gruppe aus Marburg.

Wie ihr wisst, ist heute, am 25. November, der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. Also Gewalt an Frauen aus dem einfachen Grund, dass sie Frauen sind. Diese Gewalt ist im Patriarchat alltäglich und allgegenwärtig und dennoch statistisch untererfasst und medial wenig präsent. Diese Form von Gewalt betrifft ALLE Frauen, und die Frauen, die von Mehrfachdiskriminierung betroffen sind besonders.

Die vorherrschenden Bilder, zum Beispiel von Gewalt in intimen Beziehungen und Partner*innenschaften, sind allerdings stark normativ verzerrt: Wenn überhaupt, wird über die weiße able-bodied cis-Frau berichtet, die in ihrer heterosexuellen Beziehung Gewalt erlebt. Die andere Variante der vorherrschenden Berichterstattung ist von einem stark rassistischen Narrativ geprägt. Beide Erzählungen verfestigen den Status Quo der Machtstrukturen anstatt ihn anzugreifen. Beide Erzählungen werden der Vielfalt der Erfahrungen von Frauen, die tatsächlich von Gewalt betroffen sind, nicht ansatzweise gerecht.

Die Vielschichtigkeit von Gewalt aufgrund von mehrfach diskriminierenden Zuschreibungen und Strukturen wird kaum statistisch erfasst und medial verarbeitet. Ein Beispiel hierfür sind lesbische, bisexuelle und pansexuelle Frauen. Auch diese sind von Gewalt gegen Frauen betroffen. Diese äußert sich allerdings in einer spezifischen Form und ist zudem noch von Gewalt begleitet, die das nicht normative Begehren dieser Frauen sanktioniert. Mainstream Medien suggerieren, dass lesbisch oder bisexuell zu sein bei Frauen heutzutage ein akzeptierter Lifestyle sei. Das legt den falschen Schluss nahe, dass nicht normatives Begehren bei Frauen auch im Alltag weithin akzeptiert sei. Die Realitäten von alltäglicher, vielschichtiger Diskriminierung werden hierbei ignoriert. Für betroffene Frauen wächst die Hürde von erfahrener Gewalt zu berichten. Nur 3% der lesbenfeindlichen Gewalt wird angezeigt. Die Dunkelziffer ist somit um einiges höher als die bei Gewalt gegenüber schwulen Männern. Spezifisch gegen lesbische, bisexuelle und pansexuelle Frauen gerichtete Gewalt passiert meist im öffentlichen Raum und sanktioniert direkt die Sichtbarkeit von nicht normativem Begehren. Dies verdrängt lesbische, bisexuelle und pansexuelle Lebens- und Liebensweisen aus der Öffentlichkeit.

Auch Gewalt gegenüber Menschen, die außerhalb cis geschlechtlicher Binarität leben, ist weithin nicht als gesellschaftlich relevant anerkannt. Hasskriminalität gegenüber trans Personen wird erst seit Anfang 2020 überhaupt gesondert von der Polizeistatistik gelistet.
Dabei können wir von einen körperlichen Angriff auf eine trans* Person an jedem Tag des Jahres in Deutschland ausgehen – Verbale Angriffe, wie etwa Morddrohungen, nicht eingerechnet. Diese Gewalt macht uns fassungslos. Aber wir werden nicht aufhören uns und andere daran zu erinnern.

Für Personen die sich als trans, inter oder nichtbinär identifizieren kommt mit dem medizinischen Bereich ein weiterer Sektor an institutionalisierten Gewalterfahrungen hinzu. Das erzwungene Unterziehen von Begutachtungen, Pathologisierung, unkonsensuale medizinische Eingriffe oder die Verweigerung der Behandlung sind nur einige Beispiele der Sanktionen im medizinischen Bereich, die spezifisch gegen Menschen angewendet werden, die sich der cis- und dya-geschlechtlichen Normativität entziehen.
Insgesamt steigt die Hasskriminalität gegen LGBTIQ in Deutschland seit einigen Jahren stark an. Viele der Angriffe auf Queeres Leben werden hierbei von Tätern mit rechter Gesinnung begangen und gesellschaftlich begünstigt durch eine weit verbreitete Abwertung von allem was als ‚Anders‘ konstruiert wird. In all jenen Bereichen, in denen Menschen von der konstruierten Norm abweichen, kommt normative Gewalt und Sanktionierung zum Einsatz. Um den Status Quo der Macht zu erhalten werden Menschen, die sich einer normativen Lebensweise widersetzen, systematisch unsichtbar gemacht, zum Schweigen gebracht und ermordet.

Lasst uns heute auf die Straßen gehen gegen Gewalt an Frauen. Und lasst uns die Vielfalt der Lebensrealitäten von Frauen und die Vielschichtigkeit der Gewalt gegen sie nicht vergessen. Zahlen können hilfreich sein um die Wichtigkeit von Kämpfen auch in bürgerliche Kontexte hinein zu tragen. Gewaltstatistiken können die Verflechtung von Mehrfachdiskriminierung aber im Kern nicht erfassen und leiden immer unter dem grundlegenden Problem der Kategorisierung. Sie rütteln nicht an den lebensfeindlichen Strukturen und ändern nichts an den Herrschaftsverhältnissen.

Die Kraft für unsere solidarischen Kämpfe und unseren Widerstand ziehen wir aus unseren Schmerzen, unserer Trauer, unserer Wut. Wir wollen uns in Queeren Kämpfen verbinden und die allgemeine Ordnung stören!

‚Queer‘ ist für uns in diesem Kontext ein Kampfbegriff. Queer zu sein ist ein politisches Bekenntnis der anti-Normativität.
Es bedeutet, sich in allen Bereichen des Lebens aufzulehnen gegen eine mörderische Norm.
Es bedeutet, dass wir uns nicht vorschreiben lassen wer wir sind und wer wir sein können.
Wir lassen uns nicht vorschreiben wie, wo und mit wem wir leben.
Wir lassen uns nicht vorschreiben wen und wie wir lieben, wen und wie wir ficken und mit wem wir uns verbünden.
Wir sind unfassbar wütend.

Wir wollen in wütender Trauer und queerer Solidarität das verdammte System aus den Angeln heben.