#KEINEMEHR – Femizide in linken Strukturen

In diesem Aufruf möchten wir die von FLINT in linken Kreisen erfahrene Gewalt nicht länger tabuisieren und aufarbeiten.

Im konkreten Fall geht es um einen gewalttätigen Übergriff eines DIDFs Vorstandes aus dem Jahr 2013, welcher tödlich hätte enden können, dessen Täter bis heute rechtlich und politisch ungeahndet blieb. Ein Angriff, der in einem politischen Umfeld geschehen ist, welches bis heute aktiv ist, und weitere Übergriffe an FLINT ermöglicht. Diese Tat ereignete sich in linken Kreisen und wird dadurch in feministischen safer-spaces fortgetragen, weswegen wir überzeugt sind, umso stärker gegen solche Strukturen vorgehen zu müssen.

Gewalt gegen FLINT-Personen ist auch in „progressiven“, aktivistischen, linken Räumen strukturell bedingt. Diese Gewalt wird auch von Männern reproduziert, welche in der Mehrheitsgesellschaft mehrfache Marginalisierungen aufweisen. Es ist ein Balanceakt, marginalisierte Männer in heteronormativen, weißen, patriarchalen Gesellschaften nicht zu dämonisieren und zeitgleich in Verantwortung gegenüber denjenigen ziehen, welche strukturell vulnerabler sind: BIPOC FLINT-Menschen.

Wir mussten feststellen, dass solche patriarchalen Dominanz-Strukturen, die bundesweit präsent sind, auch in unserer Stadt, in unseren politischen Kämpfen und unter unseren Freund_innen zu Gewalt gegen FLINT führen.

Es geht um Femizide – den Akt der Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Um gegen Femizide vorzugehen scheitert man bereits schon an der Begriffswahl, denn Femizide werden systematisch unsichtbar gemacht und die Bundesregierung sträubt sich bislang an eine angemessene Definition von Femiziden und damit das Problem in Deutschland überhaupt anzuerkennen.

So bezog sich die Bundesregierung auf eine Femizid-Formulierung der Vereinten Nationen, die davon ausgeht, dass ein Femizid nur dann vorliegt, wenn der Mord an einer Frau nicht strafrechtlich geahndet wird, und behauptete, dass «dieses Phänomen in Deutschland nicht vorkommt». Die Regierung übernahm weder die von der WHO noch die von den Vereinten Nationen angebotenen Beschreibungen und bot keine andere an. Zwar wird nicht mehr direkt verneint, dass Femizide in Deutschland stattfinden, gleichzeitig werden sie aber auch nicht offiziell bestätigt und aufgearbeitet.

Trotz unterschiedlicher begrifflicher Ansätze ist den verschiedenen Beschreibungen des Phänomens eins gemein1: Die Tötung von Frauen und Mädchen aufgrund von tief liegenden Frauenhass wird bereits seit den 1970er Jahren von Feministinnen in der Wissenschaft, in sozialen Bewegungen und im Anschluss auch in den Parlamenten unter dem Begriff des Femizids oder Feminizids gefasst und debattiert, Femizide als extremen Ausdruck hierarchischer Geschlechterverhältnisse und männlichen Dominanz-Bestrebens. Die dieser Problematik zugrundeliegende männliche Vormachtstellung beruht auf der Ausübung von Herrschaft in unterschiedlichen, miteinander verflochtenen Formen, sei es «sexuell, intellektuell, ökonomisch, politisch oder kriegerisch».

Sie tritt dann deutlich zutage, auch in Form von körperlicher Gewalt, wenn diese männliche Position infrage gestellt oder angegriffen wird.2

So nahm die Anzahl der Femizide in Partnerschaften in den 1970 Jahren in den USA mit den Fortschritten feministischer Bewegungen zu. Die Gleichzeitigkeit beider Entwicklungen legt nahe dass die wachsende Unabhängigkeit von Frauen dazu geführt hat, dass einige Männer mit tödlicher Gewalt reagieren. Diese Männer, die sich bedroht oder herausgefordert fühlen, scheinen für sich das Recht in Anspruch zu nehmen, jede Form von Gewalt anwenden zu dürfen, die notwendig ist, um die Herrschaft über die zu behalten, die sie für ihre Untergebenen halten.

Nach den Untersuchungen von Oberlies3 stehen Tötungen in Partnerschaften außerdem oft – aber nicht nur – am Ende wiederholter Gewalthandlungen, weshalb sie, Interventionen von außen vermisst.

Deshalb ist in dieser Hinsicht weiterer Druck notwendig, um die männliche Vormachtstellung zu bekämpfen. Unsere feministischen Räume dienen neben politischer Selbstorganisierung als Schutzräume für FLINTs. Solange unsere Räume von Frauenhasser eingenommen werden, werden wir alle insgesamt in unserem Kampf gegen das Patriarchat geschwächt, was bedeutet, dass damit Sexismus auch nicht gesamtgesellschaftlich untersucht oder adressiert werden kann. Strukturell sexistische Gruppen spalten uns FLINTs, spielen uns gegeneinander aus und schwächen unsere Kämpfe um Befreiung.

Gegen dieses strukturelle Problem gehen linke Gruppen zwar vor, doch wie das bei strukturellen Problemen häufig der Fall ist, scheitern sie daran einen offenen Diskurs zu schaffen, der Betroffene inkludiert. Das eigene politische Verständnis immunisiert einen nicht selbst davor solche Strukturen zu reproduzieren. In Solidarität mit den Betroffenen solcher Gewalt und solcher Ausschlüsse, wollen wir im Folgenden diese patriarchalen Machtstrukturen in der DIDF Jugend an die Öffentlichkeit bringen.

Wir wollen den Frauenhass thematisieren, nachdem über Jahre hinweg, sowohl auf persönlicher als auch auf interner organisationaler Ebene, jegliche Versuche der Betroffenen gescheitert sind, die Ereignisse in den DIDF-Strukturen überhaupt anzusprechen. Die Betroffene wird durch Slutshaming ausgegrenzt und gleichzeitig werden die strukturell patriarchalen Missstände mittels Silencing sowie Ausschluss von Betroffenen und Supporter_innen erhalten. Es ist unbestreitbar, dass hier eine Täter-Opfer-Umkehr stattfindet.

Während die DIDF Jugend immer wieder auf social media den Eindruck erweckt sich gegen Femizide und Gewalt an Frauen stark zu machen, verleugnet sie gleichzeitig strukturelle Gewalt an FLINTs und einen versuchten Femizid in ihren eigenen Reihen. Mit den Worten von Oberlies : «Eine Gesellschaft, die nicht konsequent gegen Gewalt gegen Frauen vorgeht, nimmt deren Tötung billigend in Kauf.»4

Wir fordern die DIDF Jugend dazu auf, Stellung zu beziehen, sowie die politische Auseinandersetzung anzustoßen, um nachhaltig die sexistisch-patriarchalen Strukturen zu ändern. Mit der Öffentlichmachung wollen wir genau die strukturellen Bedingungen angreifen und sabotieren, die Gewalt gegen FLINT*-Personen ermöglichen: den Frauenhass und die Wiederholung von misogyner Gewalt durch das Verschweigen und Leugnen der Gewalt und durch die aktive Täter-Opfer-Umkehr.

Für uns steht außer Frage, dass aus dem Femizidversuch eines DIDF Jugend Vorstands Konsequenzen folgen müssen. Darüber hinaus kritisieren wir den mangelnden Umgang der DIDF Jugend mit dem durch ihren Vorstand ausgeübte Gewalt, sowie die patriarchalen und sexistischen Strukturen, die diesen Übergriff bis heute stützen. Zusätzlich wurden im August 2020 Betroffene, die ebenfalls austraten nachdem sie Sexismus erlebten, von Vorstandsmitgliedern belästigt. Ein weiterer Grund für das Schweigen der Betroffenen ist der Umstand, dass es ohnehin nicht viele migrantische und bundesweit agierende linke Organisationen gibt. Man befürchtet, dass man in einem ständigen Zustand der rassistisch motivierten Unterdrückung durch das Ansprechen von sexistischen Strukturen, die eigene Community schädigt. Die Alternative darf für junge migrantische und linke Frauen aber nicht sein organisiert und sexistisch unterdrückt oder unorganisiert und unversehrt zu sein. Bis heute ist DIDF bei den meisten linken Kundgebungen, Demos und Veranstaltungen präsent und für Betroffene ist die Anwesenheit von Tätern und Täterstrukturen in diesen Kontexten unzumutbar.

Den Unterzeichenden sind die Details und Umstände des Vorfalls bekannt. Aus Respekt vor der Betroffenen, aber auch um eine rechtliche Täter-Opfer-Umkehr zu vermeiden, wird bewusst verzichtet, genauere Details preiszugeben. Bei Bedarf wird im Einzelfall auf diese eingegangen. Darüber hinaus möchten wir verhindern, dass die Erfahrungen von Frauen im Patriachat abermals individualisiert werden: Keine Struktur ist frei von Machtverhältnissen. Gewalt gegen FLINT-Personen und Silencing sind ein bekanntes Phänomen und Gegenstand zahlreicher Forschungen!

Der Fall der Betroffenen ist kein Einzelfall. Nur wenn jetzt eingegriffen wird kann eine Wiederholung solcher oder ähnlicher Gewalt gegen Frauen verhindert werden.

Nachdem wir von diesen Vorfällen und dem strukturellen Slutshaming, Silencing und Ausschließen von Betroffenen erfahren haben, sehen wir es als unsere Aufgabe auf dieses Verhalten aufmerksam zu machen und Betroffene von sexistischer Gewalt zu unterstützen. Wir werden uns unsere Räume zurück nehmen!

Wir fordern die DIDF Jugend auf, Stellung zu den geschilderten Vorfällen und dem strukturellen Silencing gegenüber Betroffenen und FLINT-Personen zu nehmen!

Wir fordern den Rücktritt des Täters aus dem Vorstand!

Wir fordern, dass die DIDF Jugend öffentlich und transparent zeigt, wie sie sich aktiv und nachhaltig mit den eigenen patriarchalen Strukturen auseinander setzen wird! Wir fordern, dass sich über die Aufarbeitung des oben genannten Vorfalls hinaus, Konzepte erarbeitet werden, wie zukünftige Übergriffe verhindern werden können und wie im Falle des Geschehens mit ihnen umgegangen wird!

Wir bitten ausdrücklich darum, diesen Aufruf nicht als Anlass zu sehen, mögliche Betroffene in Erklärungsnot zu bringen, sondern eben diese zu schützen, ihnen zuzuhören und strukturelle Veränderungen einzuleiten.

AFLR Marburg
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